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Russland in der Defensive? “Putin ist noch lange nicht am Ende”

Putins Soldaten kommen in der Ukraine kaum voran, manche Beobachter prophezeien schon das Ende des Diktators im Kreml. Die Hoffnung ist verfrüht, warnt der Historiker Jörg Baberowski im t-online-Interview.

Russlands Armee war gefürchtet, doch ihr Angriff auf Kiew endete im Debakel. Seit einem Jahr versucht Wladimir Putin nun, die Ukraine in die Knie zu zwingen – bislang vergeblich. Dieser Fehlschlag sollte die Macht des Kremlchefs eigentlich erschüttert haben, hoffen viele im Westen. Doch die Hoffnung ist verfrüht, warnt mit Jörg Baberowski einer der führenden deutschen Russlandexperten.

Welche Strategie Russland im Kampf gegen die Ukraine verfolgt, wie der Kreml das Ausland immer wieder mit seinem geschickten Verwirrspiel narrt und weshalb China in jedem Fall als Gewinner aus dem Konflikt hervorgehen wird, erklärt der Historiker im t-online-Gespräch.

t-online: Professor Baberowski, im Ukraine-Krieg herrscht ein blutiges Patt. Hat sich Putin verzockt?

Jörg Baberowski: Putin ist leider noch lange nicht am Ende, Russland auch keineswegs derart isoliert in der Welt, wie man es im Westen gerne glauben möchte. China und Indien stehen nicht an der Seite des Westens, Iran liefert Drohnen und bezieht Waffen aus Russland.

Kanzler Scholz dagegen tut sich schwer, mehr Waffen für die Ukraine zu organisieren. In Brasilien hat er sich mit seiner Bitte um Munition für den Flugabwehrpanzer Marder eine Abfuhr geholt.

Europa ist nicht mehr der Nabel der Welt. Diese Einsicht hat sich in manchen europäischen Staaten noch nicht herumgesprochen. Der Krieg in der Ukraine ist weder für Indien noch für Brasilien eine Zeitenwende. Warum sollten sich diese Staaten für einen Krieg engagieren, von dem sie nicht betroffen sind?

Welche Rolle spielt China dabei, das nun einen Friedensplan angekündigt hat?

China hält sich im Ukraine-Konflikt zurück, vermeidet es, Russland direkt zu unterstützen, und hält sich alle Optionen offen. Ganz gleich, wie dieser Krieg ausgehen wird, am Ende wird China der Gewinner sein: Sollte Putin siegen, wird der Westen geschwächt werden und Russland erschöpft sein. Verliert Russland, verwandelt es sich in einen Vasallenstaat von Pekings Gnaden.

Jörg Baberowski, Jahrgang 1961, lehrt Osteuropäische Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsfelder sind unter anderem der Stalinismus und die Geschichte der Gewalt. 2012 erhielt Baberowski den Preis der Leipziger Buchmesse für sein Standardwerk “Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt“. Drei Jahre später erschien seine Studie “Räume der Gewalt“, zuletzt dann 2021 “Der bedrohte Leviathan. Staat und Revolution in Russland“.

Was bedeutet der derzeitige Krieg in Europa für den Konflikt zwischen China und den USA?

Sowohl China als auch die Vereinigten Staaten haben die Entwicklung des Krieges in der Ukraine aufmerksam im Blick. Die chinesische Führung sieht, wozu westliche Waffen imstande sind. Sollte Peking wirklich versuchen, Taiwan zu erobern, wäre ein langwieriger Krieg die wahrscheinlichste Folge. China wird Putins Fehler nicht wiederholen, aus ihnen aber lernen.

Was war denn Putins größter Fehler?

Putin hat den Widerstandswillen der Ukraine und die Entschlossenheit der USA falsch eingeschätzt. Er glaubte an einen leichten Sieg, und deshalb war seine Armee auf diesen Krieg nicht vorbereitet worden. Nun zeigt sich vor aller Augen, wie schwach Russlands Armee ist. Jede weitere Drohung ist deshalb leer. Putin hätte im Februar 2022 mit Drohungen mehr erreichen können, als er mit militärischer Gewalt nun erreicht hat. Damals fürchteten sich die westlichen Staaten noch vor der scheinbar mächtigen russischen Armee, der ukrainische Präsident Selenskyj wäre bereit gewesen, Zugeständnisse zu machen, hätte auf die Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato und der Europäischen Union verzichtet. Davon kann nun keine Rede mehr sein.

Warum setzte Putin trotzdem auf Krieg?

Macht hat, wer warten kann. Putin konnte und wollte offensichtlich nicht mehr warten.

Neben Waffenlieferungen für die Ukraine sind Sanktionen gegen Russland das zweite Instrument des Westens gegen den Kreml. Wie effektiv ist der Wirtschaftskrieg?

Nicht so sehr, wie man es sich im Westen erhofft hatte. Die russischen Geschäfte sind keineswegs leer, Putins Rüstungsindustrie produziert und importiert Waffen in hoher Stückzahl. Die Wirkung der Sanktionen ist überschätzt worden. In den Ländern des Westens wird es keine Kriegswirtschaft geben, mit dieser Einsicht sollte man sich vielleicht doch irgendwann vertraut machen. Ich fürchte, daß dieser Krieg noch lange andauern und Russland ihn aus den genannten Gründen länger durchhalten wird.

Jörg Baberowski: Der Historiker beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Geschichte Russlands. (Quelle: Horst Galuschka/dpa-bilder)

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